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Popmusik: Missverstandene Hits: Was singen die da eigentlich?

Popmusik

Missverstandene Hits: Was singen die da eigentlich?

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    Der Rolling-Stones-Hit "Angie" ist eigentlich ein Trostlied und kam trotzdem im Wahlkampf zum Einsatz.
    Der Rolling-Stones-Hit "Angie" ist eigentlich ein Trostlied und kam trotzdem im Wahlkampf zum Einsatz. Foto: Alejandro Ernesto (dpa)

    Es ist einer dieser Momente. Im Radio läuft ein federleichtes Lied, draußen scheint die Sonne, ein leichte Brise weht durchs Fenster herein und in der Runde schwärmt eine, dieser Evergreen, der habe sie schon immer glücklich gemacht: die Unbeschwertheit des Pop, die Größe der Stimmungsmusik, ein äußerer Widerhall des innersten Empfindens, ach … Bis einer auf dem Sofa die Stirn runzelt und vorsichtig fragt, ob die so Bezauberte noch nie zugehört habe, worum es in dem Song eigentlich gehe?

    "Seasons in the Sun" – Terry Jacks singt vom Sterben, vom Abschiednehmen, ein sehr trauriger Blick ins Innere, während gerade draußen das Leben in der Sonne zu den schönsten Blüten ansetzt: "We had Joy, we had Fun …" Und schon ist die Bezauberung tot, nichts mehr übrig von der vermeintlich zeitlosen Hymne der Unbeschwertheit.

    Drum überlegen Sie, ob Sie an dieser Stelle wirklich weiterlesen wollen. Denn es gibt etliche dieser Missverständnisse in der Popgeschichte. Womöglich riskieren auch Sie, dass das inhaltliche Verständnis eine solche zauberhaft Verbindung zwischen drinnen und draußen unwiederbringlich zerstört. Und eine gar nicht unwesentliche Frage für Popmusik ist ja: Ist dieses Empfinden für den Soundtrack des Lebens nicht unter Umständen viel wichtiger die Aufgeklärtheit über den Text?

    "I don't like Mondays" erzählt von einem Amoklauf

    Der Autor Michael Berendt jedenfalls hat einst seine Doktorarbeit über Rocklyrik geschrieben – und räumt in einem neuen Buch nun mit den "größten 66 Songmissverständnissen" auf. Es heißt: "I don’t like Mondays". Und damit ist natürlich schon der nächste Aufklärungskandidat genannt.

    Wie oft hat der Hit der Boomtown Rats aus dem Jahr 1979 Sie schon in den Wochenbeginn begleitet – nicht selten auch von launigen Worten eines Radiosprechers eingeleitet? Worum es tatsächlich geht? Dieses "Ich mag keine Montage" ist gar nicht die Fortsetzung von "Tell me why" zuvor als Frage – sondern die Antwort. Und diese lapidare Erwiderung auf ein Warum stammt tatsächlich von einem 16-jährigen Mädchen, das am 29. Januar 1979 die ganze Welt erschütterte.

    Brenda Ann Spencer nämlich feuerte in San Diego, Kalifornien, von ihrem Schlafzimmerfenster aus auf eine Gruppe der gegenüberliegenden Grundschule, verletzte acht Kinder und einen Polizisten, tötete Schulleiter und Hausmeister. "I don’t like Mondays" – das sagte sie zu einem Journalisten, der sie kurz darauf tatsächlich ans Telefon bekam und sie nach ihren Gründen für die grausame Tat befragte.

    In manchen Kuschelliedern geht es eigentlich um Stalking

    Weiter? Police. "Every Breath You Take". Dieses Liebes-, dieses Kuschellied. Also, ähm, eben nicht, gar nicht, im Gegenteil. Denn tatsächlich singt Sting, wenn man ihm zuhört (übrigens wie Michael Jackson in "Billie Jean" auch) vom Stalking – von der obsessiven Verfolgung jedes einzelnen Schritts, jeder einzelnen Bewegung, jedes Atemzugs des Verehrten. Und R.E.M. mit ihrem so gerne auch auf Hochzeiten gespielen "The One I Love" – ist tatsächlich ein Gruß an eine, die der Erzähler irgendwo zurückgelassen hat, nachdem er sie ein Zeit lang einfach ausgenutzt hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Jetzt soll sie allein abstürzen…

    Na dann, schöne Flitterwochen! Auch "Someone Like You" von Adele kein einfaches Stück Romantik. Denn tatsächlich steht da das Song-Ich Jahre später unangemeldet vor der Tür des längst glücklich verheirateten Ex-Freunds, um ihm zu sagen: Für mich ist es noch nicht vorbei – aber mach dir keine Sorgen, ich werd’ schon jemanden finden, der genauso ist wie du. Ach so. Und die Sache mit Meat Loafs "I’d Do Anything For Love (But I Won’t Do That") ist noch viel komplizierter.

    Solche Missverständnisse beziehen sich freilich nicht immer nur aufs Empfinden und den Moment. Ein Klassiker ist neben Woddie Guthries eben nicht nationalistisch, sondern liberal gedachtem "This Land Is Your Land" Bruce Springsteens "Born in the U.S.A.". Mit all seiner Kraft wird es immer wieder als patriotisch stolze Hymne hergenommen – dabei erzählt der Boss darin sehr bitter und wütend, wie der kleine Mann lebt wie ein getretener Hund, in den Krieg geschickt und dann als Veteran fallen gelassen wird (ähnlich der Geschichte die Sylvester Stallone in seinem Film "Rambo" erzählt, bevor er das Missverständnis des Ballerspektakels selbst zum Programm der Fortsetzungen machte).

    Singen die Beatles über Drogen?

    Überhaupt die Politik. Dass es der CDU im Wahlkampf völlig egal war, worüber die Rolling Stones eigentlich in ihrem "Angie" singen, ist sehr schnell zu erkennen. Es ist ja eigentlich ein Trostlied: Die alte Liebe ist irgendwie noch da, genug geweint, wir haben’s wirklich probiert, aber ehrlich, glücklich sind wir nicht, ist es nicht Zeit, Lebewohl zu sagen …? Für eine positive Stimmung zugunsten von Angela Merkel sollte allein das "Angie" reichen. In der Werbung ist das eh an der Tagesordnung. Ein schönes Beispiel: Die Bilder eines schicken Sportwagens wurden dereinst mit dem Hit "You’re Unbelievable" von der Band EMF unterlegt, indem es sinngebend eigentlich heißt: Du bist so unglaublich mies zu mir, es ist einfach unglaublich!

    Aber andersrum wird im Negativen das aus dem Sinnzusammenhang gelöste Wort gefürchtet – sogar bei Muttersprachlern. In der britischen BBC wurde während des Golfkriegs untersagt, unter anderem folgende Lieder zu spielen: Pat Benatars "Love Is A Battlefield", Abbas "Waterloo", Cutting Crews "I Just Died In Your Arms Tonight", Roberta Flacks "Killing Me Softly". Aber ja, vielleicht sogar sinnhafter: ein Tabu von John Lennons "Give Peace a Chance".

    Und apropos Beatles: Da ist natürlich die ewige Frage nach "Lucy in the Sky with Diamonds". Haben die Pilzköpfe wirklich nur ein gezeichnetes Bild seines kleinen Sohns Julian vertont, wie Lennon beteuerte? Oder nicht doch auch in ihrer Drogenzeit eine Verbindung der Großbuchstaben im Titel zu LSD hergestellt? Dem ja sonst auch so gerne "wortspielenden Scherzkeks" Lennon traut Autor Berendt alles zu.

    Manchmal ist eine verbreitete Meinung über einen Song Blödsinn

    Deutlicher missverstanden sieht er dagegen das Lied "Puff the Magic Dragon" von Peter, Paul & Mary im vermeintlichen Drogenbezug – es sei eben einfach ein Kinderlied. Wie die Eagles in "Hotel California" natürlich auch nicht den Satanismus feiern (deshalb wurden sie tatsächlich angezeigt), sondern eher Bilder für die zunehmende Düsternis im Übergang vom Hippie- zum Drogenleben finden.

    Und manchmal ist eine verbreitete Meinung über einen Song auch einfach bloß Blödsinn. Wer etwa denkt, Bob Marley singe in "No Woman, No Cry" über Sorgen, die man ohne eine Frau eben nicht habe oder Udo Jürgens in "Griechischer Wein" schlicht von einem Gelage – der sollte vielleicht doch noch mal genauer hinhören. Der hat nicht einfach eine Stimmung zu verlieren, sondern wirklich was zu lernen.

    Michael Berendt: I don’t like Mondays. Theiss, 224 Seiten, 19,95 Euro

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